Footprints without Borders: Eine interaktive tangible Weltkarte​​​

Wissenschaftliche Daten begreifbar kommunizieren:

Konzeption, Umsetzung und Evaluation eines interaktiven Exponats, mit dem Nutzer:innen über eine tangible Schnittstelle spielerisch die Zusammenhänge von nachfragebasierten Emissionen und Auslagerungstrends entdecken.

Kontext:
// Challenge

Der unsichtbare CO2 Fußabdruck des Konsums

Nach aktuellen Klimaschutzabkommen werden Treibhausgase den Ländern zugerechnet, in denen sie entstehen. Auch wenn diese durch die Produktion von Exportgütern entstehen, die den Konsum anderer Länder decken. Während einige Länder des globalen Nordens ihre Inlands-Emissionen in den letzten Jahren senkten, wird die gleichbleibende oder steigende Nachfrage nach Waren durch Importe gedeckt.

Beispiel Net-Import und Net-Export Länder

Wissenschaftliche Daten kommunizieren für mehr Verantwortungsbewusstsein

Die OECD-Statistics stellt Datensätze zu konsumbasierten CO2 Emissionen für 65 Nationen über 20 Jahre bereit. Die Kommunikation dieser Daten ist entscheidend für zukünftige Klimastrategien. Eine konsumbasierte Bilanzierung von Treibhausgasen erfordert das Verständnis ausgelagerter Emissionen und die politische Bereitschaft, Verantwortung für Emissionen außerhalb der eigenen Grenzen zu übernehmen.

Daten der OECD Statistics

// Solution:

Eine interaktive Weltkarte lädt zum Erkunden der Daten ein

Für die Ausstellung „Beauty of Data“ im Schauwerk Magdeburg habe ich eine tangible Weltkarte entwickelt, welche die zeitlich und räumlich abstrakten Daten begreifbar übersetzt und Nutzer:innen spielerisch zum Erforschen, Analysieren und Interpretieren der Daten einlädt.

Erkundung der Emissions-Daten durch eine Nutzerin

Interaktionskonzept:​

  • Die Emissionen jedes Landes werden durch Höhen auf der topografischen Karte angezeigt.
  • Bei Berührung eines Landes werden die globalen Emissionen durch dessen Konsum angezeigt
  • Die Zeitleiste zeigt Auslagerungstrends über die Jahre

Das entwickelte Exponat „Footprints without Borders“

Design Prozess
// Recherche & Anforderungen:

Experten-Interview, Literatur- und Datenrecherche​

Um geeignete Datensätze zu finden und umfassend zu verstehen habe ich mehrere Experten-Interviews mit einem Forscher zum Thema im Handel verkörperter Emissionen geführt.

Abgeleitete Anforderungen an das Exponat

Aus den Rechercheergebnissen wurden die wesentlichen Anforderungen und Funktionen des Exponats definiert.

// Ideation

Verschiedene Ansätze für Datenvisualisierungen und Interfaces

Mehrere Ideen wurden entwickelt und erste Prototypen getestet, die z.B mit Licht und Schatten, begehbaren Räumen oder Höhenunterschieden arbeiten.

// Konzeption

Konzept und User Flow​​

Eine anpassbare, flexible Oberfläche repräsentiert die Höhe der Emissionswerte, die in den jeweiligen Ländern produziert werden. Touch-Sensoren ermöglichen die haptische Interaktion mit den Daten. Bei Berührung wird die Höhe der Emissionen angezeigt, die weltweit durch den Konsum eines Landes entstehen. Mit einer Zeitachse kann die Entwicklung der in Handelsgütern verkörperten Emissionen über die Veränderung der topografischen Karte verfolgt werden.

Rendering auf Basis der Datensätze mit Processing (Java) und Blender

// Prototyping

Vom Konzept zum Funktionsprototypen​

Für den Prototyp habe ich ein Gehäuse gefertigt, das die Technik enthält. Die Oberfläche ist mit flexiblem Textil bespannt, auf das die Weltkarte und weitere Visualisierungen projiziert werden. An vier Positionen sind kapazitive Sensorfäden für ausgewählte Länder eingenäht. Berührt man sie, steuern Servo-Motoren die Höhe der Stifte, die die Oberfläche verändern. Die Auswahl der Jahreszahlen erfolgt über Druckknöpfe.

Soft- und Hardware

Die Touch-Sensoren und Druckknöpfe werden vom ESP32-Prozessor ausgelesen, der auch die Motoren steuert. Ein Java-Programm auf dem Raspberry Pi berechnet die Winkel anhand des Inputs und der Emissions-Datensätze und erstellt die projezierten Visualisierungen.

Schematischer Aufbau der eingesetzten Komponenten

// User Testing

Lerneffekt durch die Interaktion mit dem Exponat​

20 Besucher (20-30 Jahre) testeten das Exponat und füllten anschließend einen anonymen Fragebogen zu Vorwissen, Lerneffekt und Anregungen aus.

  • Fast alle achten bewusst auf einen nachhaltigen Lebensstil
  • 3/4 lernten, dass die Nachfrage des globalen Nordens CO2-Emissionen in Entwicklungs- und Schwellenländern verursacht
  • 3/4 empfinden eine konsumbasierte Bilanzierung von Treibhausgasen als gerechtere Politikstrategie

Forschungsinteresse und Methodik

User Experience

Die User Experience wurde mit dem User Experience Questionnaire (UEQ-s) durch die 20 Nutzer:innen (zwischen 20-30 Jahrengemessen. Die Ergebnisse zeigen im Vergleich mit dem Benchmark eine sehr hohe „Overall-Experience“, wobei die hedonischen Qualitäten etwas über den pragmatischen liegen.

Ergebnisse: User-Experience Questionnaire (s) mit 20 Testnutzer:innen

Usability-Studie mit Eyetracking​

Für tiefere Einblicke führte ich mit 3 Nutzer:innen eine Usability-Studie durch. Lautes Denken und Eye-Tracking halfen mir, die Informationsverarbeitung nachzuvollziehen. Aufgaben auf Basis der Bloom’schen Taxonomie zeigten, dass der Inhalt des Exponats auf den Ebenen Wissen und Verstehen erfasst wurde. Zudem wurden höhere Stufen der Analyse und Evaluation angesprochen, indem konsumbasierte Emissionen analysiert und die Verantwortung der Länder in diesem Kontext bewertet wurden.

Lautes Denken der Test-Nutzer:innen bei der Interaktion mit dem Exponat

Eyetracking: Die Augenbewegungen zeigen den schnellen Vergleich innerhalb einer Sekunde bei der Frage: „Welches der angezeigten Länder verursacht die höchsten und welches die niedrigsten Emissionen durch Produktion im Land?“

// Reflexion

Die interaktive Weltkarte bietet einen wirkungsvollen Ansatz, über ausgelagerte Emissionen zu informieren

Die haptische Interaktion mit der dreidimensionalen Karte bietet eine spielerische und anregende Erfahrung, die Nutzer:innen motiviert, tief in die Daten einzutauchen und diese zu analysieren. Damit wurde ein stärkeres Bewusstsein für die Verantwortung an Emissionen außerhalb der eigenen nationalen Grenzen geschaffen.

Weiterentwicklungen:

  • Onboarding-Visualisierung um die Nutzung der Karte intuitiver zu gestalten
  • Dynamische Animationen für ein immersiveres Nutzererlebnis
  • Erweiterung der Datenbasis durch weiterer Länder und Zeiträume
  • Handelsflüsse und Sektoren aufzeigen für präzisere Einblicke

Learnings:

Die Interviews mit Fachexperten halfen mir, tiefere Einblicke zu gewinnen und komplexe Details zu verstehen, während Interviews mit Fachfremden und Nutzertests zeigten, wie die Informationen für eine breitere Zielgruppe ansprechbar und verständlich gestaltet werden können.

Angefangen bei einfachen Low-Fidelity-Prototypen (Wizard of Oz) bis hin zur Konstruktion des Exponats mit der Integration elektronischer Bauteile und Programmierung in Java und CSS habe ich gelernt, den Entwicklungsprozess iterativ zu steuern und dabei technische Herausforderungen zu überwinden.

Ein zentraler Bestandteil des Projekts war die Evaluation, bei der ich standardisierte wissenschaftliche Methoden sowie Eye-Tracking kennengelernt und eingesetzt habe. Zudem konnte ich wertvolle Erfahrungen im Verfassen, Publizieren und Präsentieren wissenschaftlicher Arbeiten auf der MUC 22 sammeln.

Publikation

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